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Schwäbisch Hall

Vortragsabend „Was ist Autismus (nicht)?“

Artikel vom 22.07.2022

Mehr als 170 Zuhörerinnen und Zuhörer kamen am Montag, 11. Juli, in die Aula des Schulzentrums West, um den Vortrag „Was ist Autismus (nicht)? - Mein Kind ist anders, wie gehe ich damit um?“ zu hören. Kerstin Schreyer von der Bildungsregion Schwäbisch Hall begrüßte die Gäste. „Während der Corona-Zeit haben wir zwei Onlinevorträge zu diesem Thema angeboten, mit je 180 und 110 Anmeldungen. Dies zeigt, wie wichtig der Austausch zwischen Institutionen, Fachkräften und Eltern zum Thema Autismus ist“, betonte sie.

Der Referent des Abends, Emanuel Kaplik, Psychologe und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut im Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) am Diak-Klinikum Schwäbisch Hall, freute sich über das große Interesse an den beiden Leitfragen „Was ist Autismus?“ bzw. „Was ist Autismus nicht?“

„Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind keine Modeerscheinung“, betonte Kaplik. Die Zunahme der Diagnose lasse sich durch einen Blick auf die historische Entwicklung des Begriffs „Autismus“ erklären. Über die Jahre wurden Diagnosekriterien verändert und Diagnostikmöglichkeiten verbessert. Inzwischen gebe es eine höhere Sensibilität für das Thema.

Kaplik erklärte: „Die Kernsymptomatik von ASS sind Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie stereotype Interessen und sensorische Besonderheiten. Die Auffälligkeiten sind sehr heterogen und abhängig von sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten.“

Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion können etwa kein oder wenig Interesse an der Kontaktaufnahme zu anderen Kindern sein, eine ablehnende oder keine Reaktion auf Annäherungsversuche anderer Kinder oder wenig Einsatz von Blickkontakt, Mimik und Gestik. Auch Probleme, feste Freundschaften einzugehen oder kein Spenden von Trost zählen hinzu.

Im Bereich der Kommunikation fällt auf, dass viele Betroffene mit ASS Schwierigkeiten haben Small-Talk zu führen. Kommunikation besteht häufig aus einseitigem Dozieren über Spezialinteressen. Weitere Auffälligkeiten können eine monotone, abgehackte Sprache sein oder der Gebrauch von selbsterfundenen Worten, Wortritualen (z.B. beim Schlafengehen immer das gleiche sagen müssen) oder das Nachsprechen von Worten oder Satzteilen.

Im Bereich der stereotypen Interessen können bei Betroffenen mit ASS etwa folgende Dinge beobachtet werden: Beschäftigung mit speziellen Interessen, Festhalten an bestimmten Abläufen, Sortieren von Spielzeug, komplexe sich wiederholende Körperbewegungen.

Mit Hilfe von Bildern, Comics und Fallbeispielen gab Referent Kaplik anschauliche Einblicke in das innere Erleben und die Besonderheiten der autistischen Wahrnehmung. Neben den Kernsymptomen komme es begleitend auch zur Auffälligkeiten wie Schlafproblemen, motorischer Ungeschicklichkeit, Konzentrationsproblemen, sozialem Rückzug oder zu Wutausbrüchen. „Einigen Betroffenen sieht man ihre Besonderheit auf den ersten Blick gar nicht an, da sie gelernt haben, sich anzupassen“, so Kaplik weiter.

Im zweiten Teil des Vortrags ging es um die Ursachen von ASS, die noch nicht abschließend erforscht sind. „Es ist jedoch sicher davon auszugehen, dass frühe biologisch wirksame Risikofaktoren die Entwicklung des Nervensystems beeinflussen und so zu den Autismus-spezifischen Verhaltensweisen und neuro-kognitiven Besonderheiten führen“, gab Kaplik einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand aus den Bereichen Genetik, Neurobiologie und Umweltfaktoren. „Zu vielen Faktoren gibt es eine unzureichende oder widersprüchliche Studienlage. Die Masern-Mumps-Röteln-Impfung sowie die elterliche Erziehung gelten jedoch nicht als ursächlich für ASS“, sagte er.

Kaplik ging auch auf den diagnostischen Prozess ein. Nach einer Diagnosestellung trete in vielen Fällen Erleichterung ein, da die Auffälligkeiten besser einsortiert werden können. Dies entlaste auch von Schuldgefühlen. „Der Verlauf von ASS kann durch früh einsetzende Förderung und ein hohes Elternengagement positiv beeinflusst werden. Die Bildungsabschlüsse von Menschen mit ASS haben sich in den letzten 20 Jahren verbessert“, erklärte er. „Ich sehe dies als Hinweis auf gesellschaftliche und medizinische Veränderungen.“

Zum Ende bedankte sich Kathrin Mosgoll vom Verein Autismus Schwäbisch Hall für den hervorragenden Vortrag und lud alle Zuhörerinnen und Zuhörer ein, im Foyer mit den verschiedenen Institutionen ins Gespräch zu kommen, um ihre persönlichen Fragen zu stellen. Dieses Angebot wurde sehr gut angenommen.
Die nächste Veranstaltung findet am Donnerstag, 29. September, um 19 Uhr in der Aula im Schulzentrum Ost statt. Das Thema lautet: „Autismus: Herausforderung Schule – Wie kann man mit Autismus leben?“


Die Themenreihe Autismus - Leben - gestalten ist eine gemeinsame Veranstaltung der Bildungsregion Schwäbisch Hall, der Volkshochschule Schwäbisch Hall, den Offenen Hilfen im Landkreis Schwäbisch Hall, der AWO Schwäbisch Hall, dem Verein Autismus Schwäbisch Hall e.V., der St. Raphael Kinder- und Jugendhilfe sowie der Evangelischen Jugendhilfe Friedenshort.

Informationen zur Bildungsregion gibt es unter www.schwaebischhall.de/bildungsregion 

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