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Schwäbisch Hall

Digitaler Vortrag über selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen

Artikel vom 13.03.2023

Der vierte digitale Vortrag der Themenreihe „Seelische Gesundheit von Jugendlichen“ widmete sich kürzlich dem Thema nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten im Jugendalter. Mehr als 130 Zuhörerinnen und Zuhörer hatten sich zu diesem Online- Vortrag angemeldet.

Richtet jemand Gewalt gegen sich selbst, führt das im Umfeld des oder der Betroffenen meistens erst einmal zu Unverständnis. Eltern reagieren darauf verständlicherweise mit vielen Ängsten und Sorgen. Warum fügt er oder sie sich selbst vorsätzlich Schmerzen und Verletzungen zu? Diese und weitere Fragen beantworteten Corinna Rigol, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, und Cornelia Bauer, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, im Online-Vortrag.

Zu Beginn des Vortrags betonte Rigol, dass das Thema Selbstverletzung ein sehr komplexes und vielschichtiges sei. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten werde als aktives, wiederholtes, sozial nicht akzeptiertes Verhalten mit Verletzung oder Beschädigung des eigenen Körpers ohne suizidale Absicht definiert, wobei das Verhalten bewusst oder unbewusst sein könne. Es liege vor, wenn in einem Jahr an fünf oder mehr Tagen absichtlich eine Schädigung von Körpergewebe zugefügt wurde. Einmaliges selbstverletzendes Verhalten sei durchaus im Rahmen einer regulären jugendlichen Entwicklung zu bewerten. Neben dem bekannten „Ritzen“ (Schneiden mit scharfen Gegenständen) gebe es eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie Betroffene sich selbst verletzten. Sie würden sich unter anderem verbrennen, verbrühen, sich kratzen, die Haare ausreißen oder sich selbst oder ihre Extremitäten auf Gegenstände schlagen.
„Extremer Stress setzt körpereigene Schmerzmittel frei, sodass es zu einer erniedrigten bis kaum vorhanden Schmerzwahrnehmung bei Betroffenen kommt. Manche befinden sich auch während der Selbstverletzung in einem sogenannten dissoziativen Zustand, sind wie weggetreten und spüren auch deshalb wenig Schmerz“, erklärte Rigol. Zudem gebe es auch einen Gewöhnungseffekt an den Schmerz.

„Die Gründe, warum sich jemand selbst verletzt, sind vielfältig und müssen immer individuell angeschaut werden“, betonte die Referentin. Betroffene würden etwa keine angemessene Möglichkeit finden, um mit einer Konfliktsituation oder psychischen Belastung auf andere Art und Weise umzugehen. Eine Selbstverletzung ist somit als Bewältigungsversuch für eine unerträgliche psychische Konfliktspannung anzusehen. Und als Möglichkeit, unangenehme, überflutende Emotionen, etwa Angst oder Wut zu regulieren. „Wenn ich in der Therapie mit den Jugendlichen über die Gründe spreche, geben diese an, dass es um Spannungsabbau geht, ein Gefühl der Leere zu füllen, sich wieder spüren zu wollen oder Aggressionen abzubauen. Als Auslöser zeigen sich oft Streits, schlechte Noten, Trennungen, Versagensängste, Einsamkeitserleben“, berichtete die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin.

Als Schutzfaktoren nannte Rigol unter anderem eine stabile Eltern-Kind-Beziehung, mit respektvollem Umgang, Verbindlichkeit und gegenseitigen Gesprächen. „Nehmen Sie sich Zeit für Ihren Sohn oder Ihre Tochter. Geben Sie Ihrem Kind das Gefühl, dass es okay ist, so wie es ist und jedes Gefühl in Ordnung ist, zu jeder Zeit.“ Es sei auch wichtig auf die Erfüllung der primären Bedürfnisse zu achten: Gesunde und ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung und Schlaf. „Das kann jeder bei sich selbst auch beobachten. Wenn wir zu wenig davon haben, sind wir alle dünnhäutiger und reizbarer“, rät sie.

Habe sich das eigene Kind selbst verletzt, dann sei es oberste Priorität, Ruhe zu bewahren und sich Zeit für ihn oder sie zu nehmen. „Auch wenn es schwer fällt, Sie sich hilflos fühlen, atmen Sie durch und nehmen Sie die Haltung der „respektvollen Neugier“ an. Fragen Sie zum Beispiel: Wobei hilft dir das? Wie fühlt sich das für dich an? Möchtest du damit etwas zeigen? Was brauchst du von mir?“ Wichtig sei es insbesondere, dass Eltern ihr Kind in seiner Not ernst nehmen und zeigen, dass sie ihm helfen wollen. „Haben Sie immer im Hinterkopf: Selbstverletzung ist als Weg zu verstehen, seelischem Schmerz auszuhalten und damit umgehen zu können“, gab Rigol den Zuhörerinnen und Zuhörern abschließend mit.

Die digitale Themenreihe „Seelische Gesundheit von Jugendlichen“ zu den Themen psychische Auffälligkeiten bei Jugendlichen, Essstörungen, Depressionen und selbstverletzendem Verhalten stieß auf sehr großes Interesse: Insgesamt haben sich für die vier Vorträge 467 Personen angemeldet. Die Veranstalter wollen sich nun über eine Fortsetzung austauschen.

Die Themenreihe entstand aus einem Projekt aus dem städtischen Jugendforum, in dem sich Jugendliche mehr Aufklärung zu Themen wie Depressionen, Essstörungen oder Selbstverletzung wünschten. Die Themenreihe war eine gemeinsame Veranstaltung der Stadt Schwäbisch Hall, der Bildungsregion Schwäbisch Hall, der Volkshochschule Schwäbisch Hall, des Mehrgenerationentreffs und des Kinderschutzbunds Schwäbisch Hall.

  • Anlaufstellen:
    • Kinder- und Hausärzte
    • Schulpsychologischer Dienst, Schulsozialarbeiter, Beratungslehrer
    • Beratungsstellen – Pro Familia, Caritas, Erziehungs- und Familienberatungsstelle
    • Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
    • Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie
    • Online-Anlaufstellen zum Thema Nichtsuizidales Selbstverletzendes Verhalten:

Weitere Informationen: Bildungsregion

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